Erhebung von Kündigungsschutzklage kann als außergerichtliche Geltendmachung geeignet sein

Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 30.11.2012 – 6 Sa 513/12

Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die Erhebung einer Kündigungsschutzklage grundsätzlich geeignet, die in Ausschlussfristenregelungen vorgesehene außergerichtliche Geltendmachung zu erfüllen, soweit Ansprüche betroffen sind, die vom Ausgang des Kündigungsschutzverfahrens abhängen. Das wird überzeugend damit begründet, das Gesamtziel der Kündigungsschutzklage sei in der Regel nicht auf den Erhalt des Arbeitsplatzes beschränkt, sondern zugleich auf die Sicherung der Ansprüche gerichtet, die durch den Verlust der Arbeitsstelle möglicherweise verloren gingen. Mit der Erhebung einer Kündigungsschutzklage sei der Arbeitgeber ausreichend vom Willen des Arbeitnehmers unterrichtet, die durch die Kündigung bedrohten Einzelansprüche aus dem Arbeitsverhältnis aufrecht zu erhalten. Die Ansprüche müssten weder ausdrücklich bezeichnet noch beziffert werden (Rn. 27).

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 29.02.2012 – 6 Ca 303/11 – unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger weitere 38.837,10 € brutto sowie 4.370,21 € netto abzüglich erhaltener Sozialleistungen in Höhe von 7.071,85 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz auf 32.977,49 € brutto sowie 4.370,21 € netto abzüglich erhaltener Sozialleistungen in Höhe von 6.155,58 € vom 02.08.2011 – 30.11.2011 und auf 38.837,10 € brutto sowie 4.370,21 € netto abzüglich erhaltener Sozialleistungen in Höhe von 7.071,85 € ab dem 01.12.2011 zu zahlen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger ausgehend von einem Streitwert in Höhe von 43.800,89 € zu 18 % und die Beklagte zu 82 % zu tragen.

Die erstinstanzlichen Kosten hat der Kläger ausgehend von einem Streitwert in Höhe von 66.212,00 € zu 27 % und die Beklagte zu 63 % zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.


Tatbestand

1

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über Ansprüche des Klägers auf Annahmeverzug für die Zeiträume vom 01.06.2009 bis 30.04.2011 und vom 01.06.2011 bis 31.08.2011.

2

Wegen der genauen Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 2 – 5 desselben, Bl. 167 – 169 der Gerichtsakten) verwiesen.

3

Mit Urteil vom 29.02.2012 hat das Arbeitsgericht Osnabrück Annahmeverzugsansprüche des Klägers nur für die Monate Mai, September, Oktober und November 2011 (bis zum 21.11.2011) bestätigt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Wegen der Einzelheiten der Tenorierung wird auf den Urteilstenor (Bl. 167 der Gerichtsakte), soweit es die rechtliche Würdigung angelangt wird auf die Entscheidungsgründe dieses Urteils (Bl. 5 – 12 desselben, Bl. 169 – 172 der Gerichtsakte) verwiesen.

4

Das Urteil ist dem Kläger am 26.03.2012 zugestellt worden. Seine Berufung samt Berufungsbegründung sind am 25.04.2012 beim Landesarbeitsgericht Niedersachsen eingegangen.

5

Er ist der Ansicht, dass das Arbeitsgericht Osnabrück zu Unrecht festgestellt habe, seine Ansprüche auf Annahmeverzug für die Zeiträume vom 01.06.2009 bis 30.04.2011 und vom 01.06.2011 bis 31.08.2011 seien gemäß der Ausschlussfrist des § 15 Abs. 2 Satz 1 BRTV-Bau verfallen. Das Arbeitsgericht habe zunächst verkannt, dass die Ausschlussfrist dann, wenn der Arbeitnehmer seine Ansprüche ohne Abrechnung von Seiten des Arbeitgebers nicht beziffern könne, erst mit erteilter Abrechnung zu laufen beginne. Ausweislich der von der Beklagten vorgetragenen witterungsbedingten Arbeitsausfälle und deren Auswirkung auf den Vergütungsanspruch des Klägers – die der Kläger dem Grunde und der Höhe nach unstreitig stelle – sei eine Bezifferung seiner Ansprüche ohne eine Abrechnung nicht möglich gewesen.

6

Unabhängig davon werde der Kläger durch das Abstellen auf die tarifvertraglichen Ausschlussfristen in unzumutbarer und nicht mehr zu rechtfertigender Weise in seinen Rechten aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt. Habe der Kläger seinen Lohnanspruch für die streitgegenständliche Zeiträume schon im Vorprozess – 6 Ca 264/09, Arbeitsgericht Osnabrück – zur Wahrung der Ausschlussfristen geltend machen müssen, hätte sich sein Kostenrisiko durch die monatlich anstehenden Klageerweiterungen erheblich erhöht. Der Vorprozess vor dem Arbeitsgericht Osnabrück – 6 Ca 264/09 – sei erst vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen – 10 Sa 109/10 – rechtskräftig durch den am 21.11.2011 geschlossenen Vergleich beendet worden. Die Annahmeverzugslohnansprüche, die der Kläger in diesem Verfahren geltend mache, seien sämtlich abhängig von dem Ausgang des oben genannten Vorverfahrens. Darin habe zunächst die grundsätzliche Frage geklärt werden müssen, ob seitens der Beklagten für die Zeit ab dem 01.06.2009 überhaupt eine Beschäftigungspflicht bestanden habe. Es liege insoweit eine vergleichbare Situation vor, wie sie § 15 Abs. 2 Satz 2 BRTV-Bau für Vergütungsansprüche, die vom Ausgang eines Kündigungsschutzverfahrens abhingen, ausdrücklich regele. Schon aufgrund der Klage im Vorprozess (6 Ca 264/09 Arbeitsgericht Osnabrück) habe die Beklagte davon ausgehen müssen, dass sie dann, wenn der Kläger mit seinem Beschäftigungsantrag durchdringe, mit den ab diesem Zeitpunkt fälligen Vergütungsansprüchen aus Annahmeverzugsgesichtspunkten konfrontiert sei. Ohnehin wäre es auch treuwidrig, wenn die Beklagte sich jetzt auf die Ausschlussfristen berufe. Der Kläger habe darauf vertrauen dürfen, dass die Beklagte den in diesem Verfahren geltend gemachten Forderungen nachkomme, sobald die Frage des Vorprozesses, ob eine Beschäftigungspflicht ab 04.05.2009 bestehe habe oder nicht, geklärt sei.

7

Der Kläger beantragt,

8

das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 29.02.2012 – 6 Ca 303/11 – teilweise abzuändern und

9

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere 50.872,74 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 44.922,91 € brutto vom 02.08.2011 bis 21.11.2011 und auf 50.872,74 € ab dem 22.11.2011 abzgl. der vom Kläger erhaltenen Sozialleistungen in Höhe von 7.071,85 €, zu zahlen.

10

Die Beklagte beantragt,

11

die Berufung zurückzuweisen.

12

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil als zutreffend. Die Lohnansprüche des Klägers für die im Berufungsverfahren noch streitgegenständlichen Zeiträume seien nach der tariflichen Ausschlussfrist des § 15 BRTV-Bau verfallen. Zu keinem Zeitpunkt habe der Kläger seine vermeintlichen Lohnansprüche gegenüber der Beklagten schriftlich geltend gemacht. Dass vom Kläger insoweit zur Akte gereichte Schreiben vom 30.11.2010 habe die Beklagte nicht erreicht. Abgesehen davon habe der Kläger jedenfalls die zweite Stufe der tariflichen Ausschlussfrist des § 15 Abs. 2 BRTV-Bau nicht gewahrt. Das sei insbesondere nicht fristgerecht mit der Klageschrift vom 25.07.2011, die am 27.07.2011 beim Gericht eingegangen und der Beklagten am 01.08.2011 zugestellt worden sei, geschehen. Damit habe der Kläger fristwahrend lediglich die Lohnansprüche für die Monate Mai 2011 geltend machen können, was vom erstinstanzlichen Gericht zutreffend erkannt worden sei. Die Fälligkeit der Lohnansprüche sei jeweils am 15. des Folgemonates eingetreten. Eine Abrechnung von Seiten der Beklagten habe es insoweit nicht bedurft. Der Kläger habe kein Abrechnungsverlangen gestellt. Dass es ihm auch ohne Abrechnung der Beklagten möglich sei, seine vermeintlichen Lohnansprüche zu berechnen, zeige schon die vorliegende Klage. Auf die Bestimmung des § 15 Abs. 2 Satz 2 BRTV-Bau könne sich der Kläger nicht berufen. Die Beklagte habe das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis zu keinem Zeitpunkt gekündigt. Eine analoge Anwendung dieser Bestimmung auf den vorliegenden Sachverhalt komme angesichts des eindeutigen Wortlautes nicht in Betracht. Die Berufung der Beklagten auf die tariflichen Ausschlussfristen verstoße keineswegs gegen Treu und Glauben. Weder habe die Beklagte dem Kläger die Erfüllung seiner vermeintlichen Lohnansprüche zugesagt, noch habe sie ihn davon abgehalten, seine vermeintlichen Lohnansprüche schriftlich und gerichtlich geltend zu machen. Ungeachtet der Tatsache, dass dem Kläger weitergehende Lohnansprüche nicht zustehen würden, seien diese der Höhe nach in einzelnen Monaten nicht begründet. Der Kläger habe seine vermeintlichen Lohnansprüche durchgängig für alle Monate auf der Grundlage einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden berechnet, obwohl § 3 Ziffer 1.2 BRTV-Bau eindeutig bestimme, dass die regelmäßig wöchentliche Arbeitszeit in den Monaten Januar bis März und Dezember nicht 40 Stunden, sondern nur 38 Stunden betrage. Darüber hinaus sei die Arbeit im Betrieb der Beklagten aufgrund der strengen Winter in den letzten beiden Jahren zu folgenden Zeiten aus witterungsbedingten Gründen in vollem Umfang ausgefallen:

13

10.12.2009, 18.12.2009 bis 12.03.2010, 28.11.2010 bis 18.01.2011, 25.01.2011 bis 04.02.2012 und 21.02.2011 bis 28.03.2011

14

Gemäß § 4 Ziffer 6.1 BRTV-Bau entfalle der Lohnanspruch, wenn die Arbeitsleistung entweder aus zwingenden Witterungsgründen oder in der gesetzlichen Schlechtwetterzeit aus wirtschaftlichen Gründen unmöglich werde. Soweit der Lohnausfall in der gesetzlichen Schlechtwetterzeit nicht durch die Auflösung von Arbeitszeitguthaben ausgeglichen werden könne, sei der Arbeitgeber verpflichtet, mit der nächsten Lohnabrechnung das Saisonkurzarbeitergeld in der gesetzlichen Höhe auszuzahlen. Da der Kläger über kein Arbeitszeitguthaben verfüge, habe er für die vorgenannten Zeiten nur Saisonkurzarbeitergeld beanspruchen können. Für die einzelnen Monate in der Schlechtwetterzeit würden sich die Lohnansprüche des Klägers wie folgt berechnen:

15

– Dezember 2009: 1.105,92 € brutto und 241,11 € netto Saisonkurzarbeitergeld

– Januar 2010: 67,74 € brutto und 730,99 € netto Saisonkurzarbeitergeld

– Februar 2010: 759,43 € netto Saisonkurzarbeitergeld

– März 2010: 1.129,00 € brutto und 248,60 € netto Saisonkurzarbeitergeld

– Dezember 2010: 759,43 € netto Saisonkurzarbeitergeld

– Januar 2011: 248,38 € brutto und 647,38 € netto Saisonkurzarbeitergeld

– Februar 2011: 858.04 € brutto und 353,95 € netto Saisonkurzarbeitergeld

– März 2011: 270,69 € brutto und 628,87 € netto Saisonkurzarbeitergeld.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufung wird auf ihre Schriftsätze vom 25.04.2012 und 03.07.2012 und 22.11.2012, auf die in der mündlichen Verhandlung abgegebenen wechselseitigen Erklärungen sowie auf den Inhalt der beigezogenen Akte 6 Ca 264/09 – Arbeitsgericht Osnabrück/10 Sa 109/10 – LAG Niedersachsen verwiesen.


Entscheidungsgründe

A.

17

Die Berufung ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 64, 66 ArbGG und §§ 519, 520 ZPO.

B.

18

Die Berufung ist überwiegend begründet. Dem Kläger stehen für die Zeiträume vom 01.06.2009 bis 30.04.2011 sowie vom 01.06.2011 bis 31.08.2011 gegen die Beklagte Ansprüche aus Annahmeverzug zu. Diese sind nicht nach § 15 BRTV-Bau verfallen.

I.

19

Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht Osnabrück festgestellt, dass dem Kläger ab dem 04.05.2009 bis zum 21.11.2011 Vergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges nach §§ 615, 611 BGB zusteht. Darüber besteht zwischen den Parteien im Berufungsverfahren kein Streit mehr.

II.

20

Der Höhe nach ergeben sich Ansprüche des Klägers für die im Berufungsverfahren streitigen Zeiträume von 38.837,10 € brutto sowie 7.370,21 € netto (Saisonkurzarbeitergeld) abzüglich erhaltener Sozialleistungen von 7.071,84 €.

21

1. Gemäß § 615 Satz 1 BGB kann der Dienstberechtigte die vereinbarte Vergütung für die infolge des Verzuges nicht geleisteten Dienste verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Er muss sich nach § 615 Satz 2 BGB jedoch den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seine Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Der anderweitige Verdienst, den der Kläger während des Verzugszeitraumes erzielt hat, ist dabei nicht pro-rata-temporis, sondern auf die Gesamtvergütung für die Dauer des beendeten Annahmeverzuges anzurechnen.

22

Zum Zwecke der dafür erforderlichen Vergleichsberechnung ist im Wege einer Gesamtbetrachtung zunächst die Vergütung für die infolge des Verzuges nicht geleisteten Dienste zu ermitteln. Dieser Gesamtvergütung ist das gegenüberzustellen, was der Arbeitnehmer in der betreffenden Zeit anderweitig erhalten hat (vgl. nur BAG, 16.05.2012 – 5 AZR 251/11NZA 2012, 971 – 974).

23

2. Für die Monate Mai bis November 2011 hat der Kläger eine monatliche Stundenanzahl von 173 Stunden zugrunde gelegt und die einzelne Stunde mit 11,29 € brutto bewertet. Zwar bestimmt § 3 Abs. 1 Ziffer 1.2 BRTV-Bau, dass während dieser Sommerarbeitszeit die wöchentliche Arbeitszeit 41 Stunden beträgt. Danach stehen dem Kläger die auf der Basis von 40 Wochenstunden berechneten 173 Monatsstunden á 11,29 € brutto aber in jedem Fall zu. Eine höhere Vergütung konnte dem Kläger insoweit nicht zugesprochen werden, da das Gericht an den Antrag des Klägers gebunden ist. Für die insgesamt 18 Monate der tariflichen Sommerzeit (01.06.2009 bis 30.04.2011 und 01.06.2011 bis 31.08.2011) kann der Kläger mithin insgesamt 35.155,80 € brutto von der Beklagten verlangen. Hinzuzurechnen sind die Ansprüche des Klägers in den sogenannten Wintermonaten, nämlich Dezember 2009 bis März 2010 und Dezember 2010 bis März 2011. Insoweit hat der Kläger die Berechnung der Beklagten sowohl auf Basis einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38 Stunden gemäß § 3 Abs. 1 Ziffer 1.2 BRTV-Bau als auch unter Berücksichtigung des infolge von witterungsbedingten Arbeitsanfall bestehenden Anspruches auf Saisonkurzarbeitergeld nach § 4 Abs. 6 BRTV-Bau der Höhe nach in der Kammerverhandlung am 30.11.2012 ausdrücklich unstreitig gestellt. Damit sind für die Wintermonate Dezember 2009 bis März 2010 und Dezember 2010 bis März 2011 3.680,04 € Bruttovergütung zuzüglich 4.370,21 € netto Saisonkurzarbeitergeld als vom Kläger zu beanspruchende Vergütung zugrunde zu legen. Die Summe ergibt den Betrag von 38.837,10 € brutto und 4.370,21 € netto Saisonkurzarbeitergeld. Hierauf muss sich der Kläger die in diesem Zeitraum erhaltenen Sozialleistungen von 7.071,85 € anrechnen lassen.

III.

24

Dieser Anspruch des Klägers ist nicht gemäß § 15 BRTV-Bau verfallen.

25

1. Nach § 15 Nr. 1 BRTV-Bau verfallen alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden. Gemäß § 15 Nr. 2 BRTV-Bau verfallen diese Ansprüche dann, wenn die Gegenpartei den Anspruch ablehnt oder sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruches erklärt, wenn die Ansprüche nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung über den Fristablauf gerichtlich geltend gemacht werden. Dies gilt gemäß § 15 Ziffer 2 Satz 2 BRTV-Bau nicht für Zahlungsansprüche des Arbeitnehmers, die während eines Kündigungsschutzprozesses fällig werden und von seinem Ausgang abhängen.

26

2. Der Kläger hat die Frist zur außergerichtlichen Geltendmachung gemäß § 15 Ziffer 1 BRTV-Bau gewahrt. Er hat seinen Anspruch gegenüber der Beklagten mit der am 15.06.2009 beim Arbeitsgericht Osnabrück im Verfahren 6 Ca 264/09 eingegangenen Klageschrift fristwahrend geltend gemacht.

27

a) Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die Erhebung einer Kündigungsschutzklage grundsätzlich geeignet, die in Ausschlussfristenregelungen vorgesehene außergerichtliche Geltendmachung zu erfüllen, soweit Ansprüche betroffen sind, die vom Ausgang des Kündigungsschutzverfahrens abhängen. Das wird überzeugend damit begründet, das Gesamtziel der Kündigungsschutzklage sei in der Regel nicht auf den Erhalt des Arbeitsplatzes beschränkt, sondern zugleich auf die Sicherung der Ansprüche gerichtet, die durch den Verlust der Arbeitsstelle möglicherweise verloren gingen. Mit der Erhebung einer Kündigungsschutzklage sei der Arbeitgeber ausreichend vom Willen des Arbeitnehmers unterrichtet, die durch die Kündigung bedrohten Einzelansprüche aus dem Arbeitsverhältnis aufrecht zu erhalten. Die Ansprüche müssten weder ausdrücklich bezeichnet noch beziffert werden (vgl. nur BAG, 17.11.2009 – 9 AZR 745/08 – AP Nr. 194 zu § 4 TVG Ausschlussfristen).

28

b) Das Gleiche gilt auch für die vorliegende Klage im Verfahren 6 Ca 264/09 (Arbeitsgericht Osnabrück). Erkennbares Ziel dieses Klageantrages war für die Beklagte zum einen die tatsächliche Beschäftigung des Klägers ab dem 04.05.2009 und zum anderen, von der Beschäftigung abhängige Vergütungsansprüche von der Beklagten einzufordern. Das war für die Beklagtenseite schon deshalb ohne weiteres offensichtlich, weil der Kläger nicht nur die tatsächliche Beschäftigung begehrte, sondern darüber hinaus auch die Verurteilung der Beklagten angestrebt hat, an ihn Annahmeverzugsvergütung für den Monat Mai 2009 zu leisten. Den Sinn und Zweck der Ausschlussfrist in § 15 BRTV-Bau, nämlich den Arbeitgeber zeitnah darüber zu informieren, welche Ansprüche gegebenenfalls noch zu erfüllen sind, hat der Kläger durch die Beschäftigungsklage damit in ausreichender Art und Weise gewahrt. Die Beklagte konnte die Klage nur so verstehen, dass der Kläger mit der Anerkennung der Weiterbeschäftigungsverpflichtung sämtliche hiervon abhängige weitere Ansprüche geltend machen wollte. Einer Bezifferung dieser Ansprüche bedurfte es nicht. Davon kann immer dann abgesehen werden, wenn die Höhe der Forderung bekannt und vorhersehbar ist, was bei regelmäßigen monatlichen Gehaltsansprüchen eines Arbeitnehmers gegeben ist.

29

c) Der Wirksamkeit der Geltendmachung der Annahmeverzugsansprüche mit Klage vom 15.06.2009 (6 Ca 264/09 – Arbeitsgericht Osnabrück) steht nicht entgegen, dass sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht fällig waren. Vielmehr ist mit dem Bundesarbeitsgericht davon auszugehen, dass eine Geltendmachung von Ansprüche zur Wahrung von Ausschlussfristen schon vor Fälligkeit des Anspruchs grundsätzlich möglich ist (BAG, 11.12.2003 – 6 AZR 539/02 – AP Nr. 1 zu § 63 BMT-G II; Urteil vom 06.05.2009 – 10 AZR 390/08AP Nr. 44 zu § 307 BGB). Soweit § 15 Nr. 1 BRTV-Bau ausdrücklich auf die Fälligkeit abstellt, kommt dem allein die Bedeutung zu, dass so der Zeitpunkt festgelegt worden ist, zu dem ein Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis zur Wahrung der Ausschlussfrist spätestens außergerichtlich geltend gemacht werden muss. Das entspricht dem Sinn und Zweck von Ausschlussfristen, nämlich, dass sich der Anspruchsgegner auf die aus Sicht des Anspruchsstellers noch offenen Forderungen rechtzeitig einstellen bzw. vorsorglich Rücklagen bilden kann (vgl. BAG, 11.12.2003 – 6 AZR 539/02 – a.a.O.). Diese Zwecke werden gewahrt, wenn die Ansprüche bereits vor ihrer Fälligkeit geltend gemacht werden (vgl. hierzu auch LAG Düsseldorf, 20.05.2011 – 6 Sa 393/11 – nicht veröffentlicht, siehe daher Juris). Aus den selben Erwägungen bestehen zudem keine Zweifel daran, dass eine wirksame Geltendmachung von Ansprüchen erfolgen kann, obwohl sie noch nicht entstanden sind, was in Bezug auf die klägerischen Ansprüche für den Zeitraum ab 16.06.2009 der Fall war (vgl. hierzu BAG, 19.05.2007 – 5 AZR 253/09NZA 2010, 939 – 942).

30

3. Der Kläger hat die Frist zur gerichtlichen Geltendmachung gemäß § 15 Ziffer 2 BRTV-Bau gewahrt.

31

a) Nachdem der Kläger seine Ansprüche mit der Erhebung der Klage auf tatsächliche Beschäftigung im Verfahren 6 Ca 264/09 überwiegend bereits vor Fälligkeit schriftlich geltend gemacht hatte, hat die Beklagte die Erfüllung dieser Ansprüche vor Fälligkeit abgelehnt. Mit Schriftsatz vom 14.09.2009 hat die Beklagte im Verfahren 6 Ca 264/09, Arbeitsgericht Osnabrück die Abweisung der Klage beantragt. Ebenso wie der vom Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess schriftsätzlich angekündigte und dem Arbeitnehmer oder seinem Prozessbevollmächtigten zugegangenen Klageabweisungsantrag stellt der Klagabweisungsantrag der Beklagten im vorliegend relevanten Verfahren 6 Ca 264/09 vor dem Arbeitsgericht Osnabrück die schriftliche Ablehnung der mit der Beschäftigungsklage geltend gemachten Vergütungsansprüche dar. Eine ausdrückliche Ablehnungserklärung war insoweit nicht erforderlich (vgl. nur BAG, 17.11.2009 – 9 AZR 745/08 – a.a.O.).

32

b) Ausgehend von dieser Ablehnung ist die klageweise Geltendmachung der Annahmeverzugsvergütungsansprüche des Klägers im Rahmen des vorliegenden Verfahrens zwar nicht innerhalb der zweimonatigen tariflichen Ausschlussfrist zur gerichtlichen Geltendmachung nach § 15 Nr. 2 BRTV-Bau erfolgt. Die Klage ist bezüglich des Zeitraums vom 01.06.2009 bis 31.05.2011 am 27.07.2011 und bezüglich des Zeitraums vom 01.06.2011 bis 21.11.2012 im Zuge der Klageerweiterung erst am 25.11.2011 beim Arbeitsgericht Osnabrück eingegangen.

33

c) § 15 Nr. 2 Satz 2 BRTV-Bau beschränkt sich nach seinem eindeutigen Wortlaut auf Zahlungsansprüche, die vom Ausgang eines Kündigungsschutzverfahrens abhängen. Vorliegend ist zwischen den Parteien im Verfahren 6 Ca 264/09 keine Kündigung streitig gewesen, sondern die tatsächliche Beschäftigung des Klägers ab dem 04.05.2009 im ungekündigten Arbeitsverhältnis.

34

d) Die gerichtliche Geltendmachung im Sinne von § 15 Nr. 2 BRTV-Bau ist aber ebenso wie die außergerichtliche Geltendmachung fristgemäß mit der Klageerhebung in dem Verfahren 6 Ca 264/09 vor dem Arbeitsgericht Osnabrück erfolgt. § 15 Nr. 2 Satz 1 BRTV-Bau ist verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass eine Klage auf tatsächliche Beschäftigung das Erfordernis der gerichtlichen Geltendmachung für die von der tatsächlichen Beschäftigung abhängigen Entgeltansprüche des Arbeitnehmers wahrt.

35

aa) Dabei wird von der Kammer zunächst nicht verkannt, dass das Bundesarbeitsgericht bisher nur davon ausgegangen ist, eine Kündigungsschutzklage sei geeignet, eine tarifvertraglich vorgesehene schriftliche außergerichtliche Geltendmachung zu erfüllen, soweit Ansprüche betroffen sind, die vom Ausgang des Kündigungsschutzverfahrens abhängen. In Bezug auf eine tarifvertraglich verlangte zweite Stufe der gerichtlichen Geltendmachung hat das Bundesarbeitsgericht demgegenüber die Einreichung einer gesonderten Klage gefordert, deren Streitgegenstand gerade diese Ansprüche sind. Das ist damit begründet worden, Gegenstand einer Kündigungsschutzklage sei allein die Wirksamkeit einer Kündigung; sie enthalte auch dann keine gerichtliche Geltendmachung von Zahlungsansprüche, wenn diese vom Bestehen des Arbeitsverhältnisses abhängen würden (vgl. nur BAG, 25.04.2006 – 5 AZR 403/05 – AP Nr. 116 zu § 615 BGB).

36

bb) Insoweit ist jedoch hervorzuheben, dass das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 12.12.2006 (1 AZR 96/06, AP Nr. 94 zu § 77 BetrVG 1972) entschieden hat, im Rahmen einer Betriebsvereinbarung sei es unzulässig, durch Bezugnahme auf tarifliche Ausschlussfristen zu verlangen, bereits während eines laufenden Kündigungsschutzprozesses müsse die gerichtliche Geltendmachung auch von solchen Annahmeverzugsansprüchen erfolgen, die allein vom Ausgang dieses Kündigungsschutzprozesses abhängen. Zudem werden doppelte Ausschlussfristen in vorformulierten Vertragsbedingungen vom Bundesarbeitsgericht dahingehend ausgelegt, dass mit der Erhebung einer Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung zugleich die hiervon abhängigen Zahlungsansprüche gerichtlich geltend gemacht werden (vgl. nur BAG, 19.05.2010 – 5 AZR 253/09NZA 2010, 939; 19.03.2008 – 5 AZR 429/07AP Nr. 11 zu § 305 BGB). Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht unter dem 01.12.2010 entschieden, einem Arbeitnehmer dürfe mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG nicht auferlegt werden, bereits vor Abschluss einer Bestandsstreitigkeit Lohnansprüche einzuklagen, die vom Ausgang desselben abhängen (BVerfG, 01.12.2010 – 1 BvR 1682/07NZA 2011, 354). Es hat ausgeführt, dass die Beschreitung des Rechtsweges auch dadurch vereitelt werde, dass das Kostenrisiko zu dem angestrebten Erfolg außer Verhältnis stehe.

37

cc) Hiervon ausgehend ist die Kammer der Auffassung, dass auch Fällen, in denen die Arbeitsvertragsparteien über die tatsächliche Beschäftigungsverpflichtung des Arbeitgebers streiten, die gerichtliche Geltendmachung im Sinne der tariflichen Ausschlussfrist des § 15 Nr. 2 Satz 1 BRTV-Bau durch die Klage erfolgt, mit welcher der Arbeitnehmer die Arbeitgeberin auf tatsächliche Beschäftigung in Anspruch nimmt. Soweit der Kläger in diesem Fall gezwungen wäre, seine Zahlungsansprüche zur Wahrung der Ausschlussfrist selbstständig einzuklagen, würde der Zugang zu den Gerichten unverhältnismäßig erschwert. Er hätte das Prozess- und Kostenrisiko zu tragen. Die Abweisung der Beschäftigungsklage hätte vorliegend dazu geführt, dass den Ansprüchen des Klägers, die von der Beschäftigungsverpflichtung abhängen, die Grundlage entzogen worden wäre. Der Kläger hätte die gesamten Kosten der dann erfolglosen Annahmeverzugsklage zu tragen gehabt. Zwar ist Streitgegenstand einer Beschäftigungsklage das Bestehen einer Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers und nicht ein hiervon abhängigen Lohnanspruch. Nach dem Wortlaut von § 15 Ziffer 2 Satz 1 BRTV-Bau ist aber nicht der zivilprozessuale Streitgegenstand maßgeblich. Es wird nicht etwa eine Klageerhebung im Sinne von § 253 ZPO, sondern lediglich eine gerichtliche Geltendmachung verlangt (vgl. LAG Düsseldorf, 20.5.2011 – 6 Sa 393/11 – a.a.O.). Diese Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck der tariflichen Regelung. Mit einer Klage auf tatsächliche Beschäftigung stellt der Arbeitnehmer klar, dass er nicht nur die dahingehende Verpflichtung des Arbeitgebers festgestellt wissen, sondern zugleich seine Ansprüche wahren möchte, die von der Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers abhängen. Für den Arbeitgeber, der dem Arbeitnehmer im bestehenden Arbeitsverhältnis die tatsächliche Beschäftigung verweigert, ist zudem überschaubar, in welcher Höhe Ansprüche aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges auf ihn zukommen, wenn er zur Beschäftigung verurteilt wird. Es mag zwar im Einzelfall und hinsichtlich einzelner Berechnungsgrundlagen streitig sein, aber das Prinzip und die ungefähre Höhe der Forderung sind für den Arbeitgeber ohne weiteres erkennbar (vgl. LAG Hamm, 28.09.2011 – 3 Sa 671/11 – nicht veröffentlicht, siehe daher Juris). Mit der Erhebung der Klage auf tatsächliche Beschäftigung war vorliegend das Ziel der tariflichen Ausschlussfrist, nämlich der Beklagten Klarheit über Ansprüche und deren Bestehen zu verschaffen, bereits hinreichend gewahrt. Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang auf die wirtschaftliche Absicherung des Klägers durch eine Rechtschutzversicherung sowie darauf hinweist, die lange Dauer des Verfahrens 6 Ca 264/09, Arbeitsgericht Osnabrück sei maßgeblich vom Kläger mitveranlasst worden, kommt es darauf nicht an. Eine tarifliche Ausschlussfrist wie die des § 15 Nr. 2 BRTV-Bau ist allein nach den typischen Gegebenheiten zu beurteilen und nicht nach der Zumutbarkeit einer Kostenauferlegung im Einzelfall (vgl. LAG Hamm 28.09.2011 – 3 Sa 671/11 – a.a.O.).

IV.

38

Insgesamt ist mithin festzustellen, dass der Kläger auch die zweite Stufe der Ausschlussfrist des § 15 BRTV-Bau durch die Klage im Verfahren vor dem Arbeitsgericht Osnabrück mit dem Aktenzeichen 6 Ca 264/09 gewahrt hat. Die der Höhe nach unstreitigen Ansprüche für die Zeiträume vom 01.06.2009 bis 30.04.2011 und vom 01.06.2011 bis 31.08.2011 stehen dem Kläger zu. Die hierauf bezogenen Zinsansprüche haben ihre Grundlage in §§ 286, 288, 291 BGB. Die Berufung des Klägers was insoweit erfolgreich, woraufhin eine teilweise Abänderung des erstinstanzlichen Urteils zu erfolgen hatte.

C.

39

Die Kosten des Rechtsstreites waren unterschiedlich nach den Instanzen gemäß § 92 Abs. 1 ZPO im Verhältnis des jeweiligen Obsiegens zum Unterliegen zu verteilen. Dabei ist für das erstinstanzlichen Verfahrens ein Streitwert von 66.212,00 € und für das Berufungsverfahren ein Streitwert von 43.839,00 € zugrunde gelegt worden. Das Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens in den Instanzen entspricht jeweils der tenorierten Kostenverteilung.

40

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen.

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